„Mathematik" oder "der etwas andere Leistungskurs"

Ein Sportreporter würde die Bezeichnung Parade oder Königsdisziplin wählen. Die Mathematik: Herzstück eines jeden Abiturjahrganges. Erstaunlich eigentlich, da sie hinlänglich nur als Geisteswissenschaft betitelt wird und dadurch nicht gerade den praktischen Reiz ausstrahlt, wie es vielleicht die Physik, Chemie oder Biologie tun.

So ausgelassen ging es im Unterricht leider nicht immer zu...
Doch trotzdem angeregt durch familiäre Anstachelungen (von den ach so klugen Eltern oder noch klügeren Geschwistern) oder den inneren Gruppenzwang, daß wahrscheinlich Freundschaften in die Brüche gehen würden, schlossen sich viele muntere, eigentlich als aufgeweckte geltende, Schülerchen Anfang des Schuljahres 1996/97 zusammen, um in ihnen bis dahin unerforschte Gebiete der Mathematik (natürlich im Leistungskurs) vorzudringen.

Größtes Glück wurde jenen zu teil, die als zweites Leistungskursfach Deutsch, Biologie, Englisch oder gar Chemie angewählt hatten. Der Schulleiter persönlich, Herr Rainer Schöne, sollte diese zu einem glorreichen Abschlußzeugnis führen, welches das Tor zu einer phantastischen Zukunft im Berufs- beziehungsweise Studien-leben weit zu öffnen vermochte. Daß diese Tür für einige aber auch fest vernagelt werden konnte, stellte sich schnell heraus. Doch später mehr dazu.

Mit großen Erwartungen traten die Schüler dieses Leitungskurses in die letzten zwei Jahre ihrer ersten langen Karriere. Denn ein hoher Prozentsatz von ihnen hatte in den Vorjahren gute bis sehr gute Erfahrungen mit der Mathematik gemacht und war davon überzeugt, daß es so weiter gehen würde. Und obwohl Herr Schöne mit seinem vorerst noch sehr freundlichen Auftreten niemanden beunruhigte, erweckte er in manchen doch schon eine gewisse Unsicherheit, als er davon sprach, daß wir „nicht damit rechnen müßten, daß die Noten der Vorjahre so beibehalten werden können, da wir nun doch schon ein anderes Niveau anstreben, das ist ja schließlich ein Leistungskurs". Doch diese Unsicherheit wurde durch Sprüche, die er von sich gab und die ersten scheinbar einfachen Arbeiten überspielt. Unvergessen seine A-B-C-D-E Lösungsvorschläge, oder „das hatten sie doch 7.Klasse gleich vorne links als sie reinkamen". So verging ein Semester scheinbar ohne Probleme.

Das zweite Semester startete, wie das vorherige aufgehört hatte. Witzeleien über berühmte Mathematiker („Binomi"), die uns das Lernen erleichtern sollten und ähnliches. Doch langsam veränderte sich der Tonfall unseres lieben Herrn Direktors. Vermutlich hing das auch damit zusammen, daß wieder einmal Prüfungszeit war, natürlich noch nicht für uns, aber durch die täglich wechselnden Launen unseres Chefs bekamen wir schon einmal einen Vorgeschmack auf das, was uns im folgenden Jahr erwarten sollte. So stellte unser sonst so nachsichtiger Direx schon mal den einen oder anderen Schüler vor der Klasse bloß. Beispielsweise wurden chronische Zuspätkommer oder Kranke mit Leistungs-kon-trollen denunziert, die nicht einmal die Kursbesten bestanden hätten. Auch wurde dazu übergegangen, Einzelne mit kleinen Sticheleien zu ärgern. Daran fand Herr Schöne im Laufe der Zeit soviel gefallen, daß er dabei vergaß ein wenig auf Schüler zu achten, die dem Stoff nicht mehr folgen konnten und sich immer größeren Druck ausgesetzt sahen. Was zwei Schülerinnen später zur Aufgabe zwang, eine weitere floh sogar ins Exil (Norwegen). In dieser Phase begannen viele Schüler, das Fach Mathematik als „Scheiße" zu bezeichnen und ein „null Bock" Bewußtsein zu entwickeln, oder die Mathematik im allgemeinen zu verfluchen. Das Spannungsverhältnis zwischen Schülern und Lehrer spitzte sich zu und eskalierte ein einziges mal

So verzweifelt waren wir dann doch nicht darin, als der Boss eine Leistungskontrolle abbrach, nachdem er der Meinung war, der Kurs versuche ihn zu verarschen, weil eine eigentlich einfache Aufgabenstellung nicht verstanden wurde. Es soll jetzt aber nicht bedeuten, daß unser lieber Chef fortlaufend sauer war, wie ein 500 Pfund schwerer Wasserbüffel, der sechs Wochen keinen Indianer aufgespießt hat. Nein , vielmehr legte er von Tag zu Tag ein mehr und mehr schizophrenes Verhalten an den Tag.

Mal überraschte er uns mit einem freundlichen „Guten Morgen Damen und Herren nehmen sie bitte ihre Hausaufgaben hervor.". Oder er versuchte uns mit Anfeurungsversuchen wie „Haalloo Leute" anzustacheln. Was aber bei uns als Zeichen galt, daß er wieder kurz vorm aushaken war und uns schließlich mit Sätzen like „Einige von ihnen werden das Anforderungsniveau des Leistungskurses so nicht erfüllen" die Freude am Lernen nahm. Unvergessen auch seine Einzelkritiken: „Daniel, in ihrem Hefter sieht es aus, wie in ihrem Kopf. Alles durcheinander!!", „Wen nehm’ ich jetzt dran, wer paßt gerade nicht auf, Markus.", „Steffi, was ist denn heute mit ihnen los? Geht es ihnen nicht gut? Dann müssen Sie zu Hause bleiben und sich auskurieren.", „Sandra, erzähl’n Sie mal, warum lachen sie denn immer ?", „Sind Sie jetzt alle mit Aufgabe 1 fertig. Franka, Sie sind doch sicher schon bei Aufgabe 5?!", „Frank, das ist wieder einmal richtig, nämlich richtig falsch.!", „Wer fehlt? Kathrin? Eigentlich kann ich ja schon vortragen.", „Was Claudia, Sie konnten das nicht, aber das ist doch alles ganz elementar.". Und viele weitere vokale Auswüchse und Verfehlungen mußten wir über uns ergehen lassen, die jedoch niemand daran ge-hindert haben, wöch-ent-lich fünfmal den Raum der Folter zu be-treten.
Denn es gab auch Mo-mente der Freude und des Glücks in unserer kleinen großkapitalis-tischen Welt. Wenn man in Leistungs-kontrollen oder Klau-suren, deren Aufgaben-be-reich ungefähr das komplette Gegenteil von den gerechneten Übungsaufgaben beinhaltete, doch die magische Fünf - Punkte - Hürde zu nehmen schaffte. Größte kommunistische Befriedigung erreichte jener, der in die Grenzen der mathematischen Genialität vordrang und mehr als zehn Punkte erzielte. Da dieses nicht allzu viele erlebten, erhielten jene für einen kurzen Zeitraum (circa 45 min) den Status, dem Niveau des Leistungskurses gerecht geworden zu sein und wurden gefeiert, als hätten sie gerade die Goldene Ananas gewonnen.

Letztlich bleibt hier niederzulegen, daß trotz sämtlicher Querelen der Leistungskurs Mathematik sich als ein Erlebnis dargestellt hat, daß man so schnell nicht vergessen möchte, kann , soll, muß, darf oder was auch immer. Die Meinung darüber sollte sich jeder selbst überlegen. Wer das nicht kann, würde ich als Flasche leer bezeichnen.

So schließe ich mit den Worten meines einzig wahren Meisters G.(nicht Guildo) „Trap" T. : ICH HABE FERTIG